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Von der berechtigten Liebe zur Abweichung vom Soll

Aus den Parallelen zwischen Musik und Management für das eigene Unternehmen lernen.

"Musik und Management"

Warum Perfektion im Unternehmen das falsche Ziel und im besten Fall eine Voraussetzung ist. Drei erstaunliche Aspekte eines neuen Umgangs.
Perfektion ist in der Wirtschaft unter vielen Begriffen zum Ziel geworden. Gerade weil der Konkurrenzdruck steigt, wird Perfektion als unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg betrachtet. Zielsetzungen wie Null-Fehler- oder Null-Toleranz-Politiken sind dann die logische Folge. In der Musik ist Perfektion schlicht das Ergebnis konsequenter Übung. Sie ist Voraussetzung für etwas, was dann erst beginnt. Erst wenn ich mein Instrument wirklich beherrsche, wenn ich mich damit wirklich zu spielen beginne, erst dann entsteht Musik. Wenn Musik nur perfekt gespielt wird, ist sie kalt und leer. Selbst auf höchstem Niveau. Vergleichen sie damit einen begeisterten Kinderchor!

Noch wichtiger scheint mir aber zu sein, dass Perfektion in der Musik bewusst und unbewusst gebrochen wird, um ein einzigartiges Klangerlebnis zu erzeugen. Trotz gleichen Notenmaterials unterscheiden sich Aufführungen oft dramatisch. Denn wahre Musik entsteht dort, wo die Perfektion von der Lebendigkeit, von der Lust, von der Hingabe abgelöst wird. Denn Abweichungen vom „Soll“ sind dann keine Störung, sondern Teil eines besonderen und herausragenden Erlebnisses.

Und genau mit dieser anderen Sicht auf die Perfektion können wir für das Team, das Unternehmen oder als Führungskraft viel mitnehmen. Ich möchte Ihnen drei Aspekte eines wirkungsvolleren Umgangs mit Perfektion besonders an Herz legen:

1. Perfektion ist Voraussetzung - und niemals das Ziel!

Wenn ich mit dem Instrument nicht vertraut bin, wenn ich keine Lust für das Stück verspüre, wenn mich der Moment der Aufführung nicht inspiriert – wird es einfach nichts – selbst wenn jeder Ton sitzt, das Konzert wird eine Enttäuschung werden. Es ist ja nicht Ziel des Künstlers, die Noten richtig zu singen, sondern ein tolles Konzert zu geben, Menschen zu begeistern!

Jedes Unternehmen sollte daher zuerst prüfen, wo Perfektion in den aktuellen Abläufen heute schon selbstverständlich ist - wie eben das Üben für den Musiker. Wo ist es Teil der Kultur geworden? Wo aber täuschen wir uns das nur vor, gerade wenn sich die Anforderungen aus dem Umfeld ständig ändern und wir keine Zeit/Ressourcen/Geduld/Idee für das Üben bis zur Perfektion haben? Wo sind die Felder, um diese Perfektion für die eigentliche Performance bei und für den Kunden auch unter schwierigen Bedingungen bringen zu können? Sind unsere Ziele richtig aufgesetzt oder bedienen sie nur die Instrumentenebene - also das Üben und nicht die Performance?

2. Zwanghafte Konzentration auf die Perfektion schadet

Gleichzeitig behindert uns der Blick auf die Perfektion. Die Aussage, er sei ein toller Techniker, kann für einen Musiker recht schmerzhaft sein, denn Musik will bewegen, berühren und nicht einfach technisch perfekt sein, denn das könnte ein Computer (Punkt 1) besser. In der Musik geht es um die Einzigartigkeit einer Aufführung. Dies bedingt, dass das Notenmaterial und die Instrumente perfekt beherrscht werden, die Auffüh- rung jedoch darüber hinausgeht. Wahre Spitzenleistung liegt in der Freiheit Konventionen an den richtigen Stellen an die Grenzen zu führen oder sie sogar zu sprengen. Der einzigartige Moment speist sich aus der Verbindung von absoluter Werktreue und gleichzeitigem Bruch des Gewohnten – es wird eben über das von den Hörern Erwartete hinausgegangen. Perfektionisten können sich sehr schnell als unerträgliche Pedanten entpuppen, die in einem einsamen Turm der scheinbaren Vollkommenheit den Kontakt zu Kollegen und Kunden verloren haben und als kalte und leere Hülsen erlebt werden.

Als Unternehmen stellt sich also die Frage, wo uns der sture Blick auf die Perfektion daran hindert, tatsächlich einzigartige Leistung zu bringen? Wo uns Regelzwang und Konformität sogar von den Kunden trennt, weil wir das Einzigartige auf dem Altar der sicheren Standards opfern? Wo versuchen wir Standards zu umschiffen, die Voraussetzung für ein echtes Kundenerlebnis sind? Wie gehen wir mit der Spannung zwischen Sicherheit in einer alten Gewohnheit und der Chance des Herausragenden um? Wieweit und wo ist Innovation Kulturbestandteil oder schlicht ein Wunschtraum und Schlagwort?

3. Die positiven Gegenpole zur Perfektion sind: Brillanz, Begeisterung, und Sinnlichkeit.

Bei den meisten Menschen gibt es eine unheilvolle Kopplung von Perfektion mit Schlampigkeit, Ungenauigkeit, Schludrigkeit oder schlicht beschämendem Dilettantismus. Es wird so getan, als ob Perfektion der Gipfel des Möglichen sei. Diese Engführung der Perfektion als Sicherungsinstrument ist wohl auch der Grund wieso dieser Begriff in unseren beruflichen Alltag soweit eindringen konnte. Doch in Zeiten großer Dynamik und geforderter Innovationen ist das keine Überlebensstrategie mehr.

Es gilt vielmehr den positiven Gegenpolen zur Perfektion in den Unternehmen wieder mehr Bedeutung zu geben: der Brillanz, eben Meisterschaft, Begeis- terung, Lebendigkeit, Euphorie und Sinnlichkeit. Und zwar nicht auf der Ebene der Oberflächenbehübschung, zu finden in Marketing und PR, sondern in der Leistungserbringung selbst. Wenn wir die Freiräume für das Besondere (Punkt 2) nicht öffnen, sondern aus Angst weiter verschließen werden unsere Unternehmen scheitern.

Als Organisation müssen Sie sich daher immer wieder die Frage stellen, wo und wie Ihre Kultur das Außergewöhnliche unterstützt? Wo wir Innovation sagen, aber risikofreie Vorhersehbarkeit meinen? Wo und wie wir uns gleichzeitig ohne gute Vorbereitung, ohne Einüben, in das Außergewöhnliche vorwagen?

Diese drei Aspekte der Perfektion sollen deutlich machen, dass ein differenzierter Blick notwendig ist. Perfektion darf in sich verschärfenden, komplexeren Konkurrenz-Umfeldern selbst kein Ziel sein. In Punkt 1 wird deutlich, dass es eine Voraussetzung ist, wie das Üben für die Musik. Doch Punkt 2 macht deutlich, dass für wirkliche Leistungen – diese sind im Wettbewerb unverzichtbar – Perfektion überwunden werden muss. Und im dritten Punkt wird deutlich, dass Perfektion als Ziel sogar ein Irrweg ist, es geht nicht um weniger oder mehr – es geht um andere Qualitäten. Etwas radikaler formuliert: Eine zu starke Konzentration auf die Perfektion hindert uns daran, wirklich an die Spitze zu kommen – wir erstarren und verbittern.

Machen Sie daher mit einem Perfektions-Check einen lehrreichen und lustvollen Blick auf Ihre Mechanismen und Spielarten, damit sie Ihre Aufmerksamkeit auf das bündeln können, was Sie wirklich brauchen, um dann damit positiv heraus- stechen zu können. Denn das wünsche ich Ihnen, Ihrem Team, Ihrer Abteilung und Ihrem Unternehmen!

Ihr Kurt Schauer

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