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Es ist zu einem scheinbar ehernen Gesetz geworden, dass in der Geschäftswelt nur mehr hohe Geschwindigkeiten zählen. Wer nicht schnell genug ist, hat schon verloren. Doch Geschwindigkeit ist mehr als Tempo. Tempo ist - in bestimmten Grenzen natürlich - irrelevant. Das Tempoerlebnis ist viel komplexer. Daher rate ich allen Unternehmen und Führungskräften: Lassen Sie sich nicht von einem eindimensionalen Tempoverständnis in die Irre führen!Auch in diesem Artikel möchte ich Ihnen mit der Analogie der Musik aus so mancher vermeidbaren Sackgasse in Ihrem Führungsalltag heraushelfen.

„Musik und Management“.

Auch in der Musik hat sich der Umgang mit der Geschwindigkeit - dem Tempo - über die Jahrhunderte deutlich verändert. Dies zeigt sich schon in der Frage, wie Tempo gemessen wird. Parallel zur industriellen Revolution wurde auch in der Musik die Maschine eingeführt: mit dem Metronom konnte nun ein eindeutiges Tempo (Schlagzahl) angegeben werden. Im Gegensatz dazu verfügten etwa Haydn und Mozart über ein feingradiges System von über 300 qualitativen Tempo-Angaben. Seit dem 17. Jahrhundert wurden dazu vorwiegend italienische Bezeichnungen - wie presto oder adagio - verwendet, die den Ausführenden weiten Spielraum boten. Und diese Tempobezeichnungen waren zugleich Ausdrucksbezeichnungen, d.h. sie gaben auch über den beabsichtigten Charakter eines Musikstücks Auskunft und gingen über die reine Geschwindigkeitsangabe hinaus. Dies ist so wichtig, weil Musik ja letztlich beim Publikum etwas auslösen soll - emotionales Marketing, sozusagen in Reinkultur. Und hierfür ist der tatsächliche Tempoeindruck eines Musikstücks die zentrale Zielgröße und nicht die Taktschläge des Metronoms. Der Tempoeindruck - also die Empfindung, ob ein Stück als gerade richtig erlebt wird - geht weit über die reine Schlagzahl pro Zeiteinheit hinaus. Er hängt insbesondere von den vorkommenden Rhythmen, der Dichte des musikalischen Satzes und nicht zuletzt von den gegebenen Räumlichkeiten sowie der Tagesverfassung von Musikern und Zuhörern ab. Gerade in der Musik sagt ein Hörbeispiel mehr als tausend Worte: Daher zum Vergleich eine aktuelle schnelle Fassung des 4. Satzes aus Beethovens 9. Symphonie - Ode an die Freude - mit 17 Minuten Dauer (www.youtube.com/watch?v=X6s6YKlTpfw) und dem gegenübergestellt eine sehr langsame Aufnahme desselben Stücks mit gut 27 Minuten (www. youtube.com/watch?v=9Eif0j8jMUM). Lassen Sie zuerst die langsame Version auf sich wirken und dann die schnelle. Je nach innerer Stimmung werden Sie die erste als mit der Handbremse aufgeführt erleben oder die zweite als gehetzt. Auf jeden Fall wird es - abgesehen von der musikalischen Qualität - ein völlig anderes Klangerlebnis sein und andere Emotionen bei Ihnen auslösen. Nur zur Klarstellung: aus meiner Sicht wird keine der beiden Aufnahmen dem Anliegen Beethovens gerecht.

Das absolute Tempo ist bedeutungslos

Ein berühmter Pianist antwortet auf die Frage, wie er eine besonders schwierige Stelle so brillant und halsbrecherisch schnell spielen könne, folgendes: „Das Geheimnis ist, dass ich vorher das Tempo rausnehme und dann einen wirklichen Sprung im Tempo mache.“ Es kommt also auf den erlebten Kontext an! Menschen erleben Tempo nie absolut. Wer also für einen Veränderungsprozess oder eine Produkteinführung das richtige Tempo finden will, sollte sich niemals nur auf das Metronom konzentrieren, sondern immer den Kontext mitgestalten.

Deswegen ist ein gutes Prozessdesign die halbe Miete. Die alten Griechen kannten für die Zeit zwei Götter: den bekannten Göttervater Chronos, dessen Name sich noch im Chronometer findet, also Uhren, die besonders genau sind. Und dann noch den Gott Chairos, der für den rechten, den guten Augenblick steht. Wir spüren einerseits das unabänderliche Fortschreiten in der Zeit und doch wird dieses durch den Menschen andererseits sehr unterschiedlich erlebt. Eine Sekunde ist eben nicht eine Sekunde - da kann die Mathematik sagen, was sie will. Genauso ist es in der Musik, das absolute Tempo hängt von dem ab, was davor und danach passiert und in welcher Stimmung die Menschen sind. Sind Menschen z.B. aufgewühlt, so wird ein sehr langsames Tempo nicht als entspannend sondern als langweilig erlebt, denn der Sprung ist einfach zu groß.

Höhere Geschwindigkeiten jenseits der Illusion im Unternehmensalltag umsetzen

Darin liegt nun die Kunst in der Führung und Gestaltung von Prozessen. Es ist wie beim Berggehen: Wer rasch startet, ist oft der letzte, der auf den Gipfel gelangt, wenn er es überhaupt schafft. Zeit besitzt nun einmal zwei grundlegend unterschiedliche Qualitäten. Nur wer beide Seiten beachtet, kann Entwicklungen aktiv gestalten. Wenn Sie eine notwendige Veränderung planen, lösen Sie sich vom gleichen Rhythmus der Uhr und denken Sie die unterschiedlich erlebten Geschwindigkeit der Menschen mit. Der reine Blick auf die Uhr verstärkt Erschöpfung und Widerstand und trotzdem werden sie nicht zeitgerecht fertig werden. Wenn sie die Logik der menschlichen Geschwindigkeit wahrnehmen, kommen sie mit weniger Energie, mehr Freude und schneller ans Ziel! Wie in der Musik heißt schneller nicht unbedingt besser, ja, es kann sein, dass ein zu hohes Tempo Sie sogar darin hindert, das Ziel zu erreichen. D.h. gerade zu Beginn ist ein hohes Tempo oft der Tod für das eigentliche Ziel. Planen Sie die Geschwindigkeit wie in einer Symphonie: harmonisch, denn nur so kann ein Prestissimo - also ein äußerst schnelles Tempo - erreicht und erlebt werden. Daher lege ich bei der Prozessbegleitung schon beim Prozessdesign viel Wert auf diese doppelte Sicht von Zeit und Geschwindigkeit: Letztlich zählt das Ergebnis, das Ziel und nicht das Anfangstempo. Oder wie eine alte japanische Weisheit meint: Wenn Du es eilig hast, gehe langsam! Diese Provokation möchte ich zum Schluss einfach so stehen lassen. Denn in vielen Prozessen wurde mir deutlich, dass darin eine tiefe Weisheit steckt. Sie werden sehen, es lohnt sich, diese gemeinsam für Ihre Prozesse nutzbar zu machen.

Ihr Kurt Schauer

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