Wahre Meisterschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie das Spiel mit dem richtigen Tempo beherrscht und es damit versteht hohes Tempo gezielt einzusetzen. Und das gilt genauso für erfolgreiche Führungskräfte. Wer allerdings immer auf „speed“ ist, wird auf Dauer keine guten Leistungen bringen – und das gilt gerade in einem leistungsorientierten Umfeld. Aus der Musik und dem Sport können wir gerade deswegen viel über das richtige Tempo lernen, weil dort Geschwindigkeit ein zentraler Erfolgsfaktor herausragender Leistungen ist.
Doch bei viele Menschen ist hohe Geschwindigkeit zu einem Fetisch geworden. Dahinter liegt wohl die Annahme, dass nur die Schnellsten als Erste ans Ziel gelangen werden. Das Problem ist nur: Diese Annahme stimmt selbst in den Speed-Disziplinen nicht.[1]
Sobald nämlich der Mensch ins Spiel kommt, wird die Sache deutlich komplexer. Selbst bei ganz einfachen Aktivitäten, wie beim Wandern, wird deutlich, dass hohe Geschwindigkeiten und große Vorsprünge zu Beginn der Wanderung in Richtung Gipfel keinerlei Relevanz für den Gipfelsieg haben müssen, da Ausdauernde und Konsequente am Berg in den meisten Fällen die Schnellstarter sehr entspannt überholen.
Ob dieses Beispiel für Sie als Führungskraft oder als ganze Organisation relevant ist, hängt nun davon ab, ob das Bestehen am Markt für Sie eher der Ausdauer und Konsequenz einer Bergwanderung entspricht oder mehr einem kurzen und intensiven Geschwindigkeitsrausch!
Dieselbe Erfahrung liefert uns auch die Musik: Wenn jemand sein Instrument zu schnell spielt und das noch dazu an den Grenzen der eigenen Kunstfertigkeit, klingt es nicht etwa schnell und dynamisch, sondern gehetzt und unsauber. Dazu kommt in der Musik noch, dass manche Stücke grundsätzlich in einem ruhigeren Tempo einfach schöner klingen und bei zu hohem Tempo ihren Zauber verlieren.
Und was sagt uns das für den Führungsalltag? „Schneller“ ist per se noch keine Lösung! Wer die Fertigkeiten nicht trainiert hat, mit einer höheren Geschwindigkeit gut umzugehen, wir kein verlässliches Ergebnis abliefern können. Im Gegenteil man fällt weit hinter dem zurück, was man hätte leisten können. Lassen Sie sich daher nicht vom Geschwindigkeitsfieber anstecken, denn die treuen Kundinnen und Kunden sind die wertvollsten!
Gerade in Umbruchzeiten ist es allerdings wichtig, dass wir das Neue und die damit verbundenen hohen Änderungsgeschwindigkeiten nicht einfach ertragen, sondern wirklich mittragen. Aus diesem Grund möchte ich auf einen alten Trick in der Musik hinweisen, der den Effekt hoher Kunstfertigkeit noch zu steigern vermag: Die schnelle Passage eines Stücks wird „strategisch“ dadurch vorbereitet, dass davor ganz bewusst Tempo herausgenommen wird. Im Empfinden geht es nämlich gar nicht um das absolute Tempo, sondern nur um den Unterschied zum Tempo davor.
Da wir aktuell mit sehr vielen solcher Tempowechsel konfrontiert sind[2], gilt es darauf zu achten, dass zu hoher Speed den lustvollen Zugang zur Leistung abtöten kann. Die meisten Menschen wollen zwar gute Leistung bringen, können das aber nur in jenem „Geschwindigkeitsbereich“, in dem sie sich noch sicher fühlen und daher die Arbeit Freude macht und Erfolge erlebt werden. Wenn die Angst vor dem Verssagen ins Spiel kommt und schließlich zu dominant wird, ist alles verloren! Wem die Musik als Lernfeld dafür zu „weich“ ist, der findet dafür genug Beispiele im Spitzensport - von den Abfahrern bis zur Formel 1.
Und dazu kommt noch, dass durch die Anspannung selbst jene Leistungen nicht mehr gebracht werden können, die bislang in entspannterer Verfassung „eigentlich“ locker erreichbar waren. Auch hier finden sich in der Musik und im Sport ausreichend Beispiele. Beim Singen ist dies auch körperlich spürbar, weil Anspannungen zu inneren Blockaden führen und diese wiederum die Verspannung verstärken. Das Aufbauen von Druck führt zu noch mehr Verspannung und verunmöglicht die Zielerreichung immer mehr, bis alles zum Krampf wird.
Was beim Geschwindigkeitsrausch noch gerne übersehen wird: Wer zu schnell ist, macht leichter Fehler, geht rascher in die Überforderung und die Überreaktionen (d.h. jede Art von Fehler) wirken sich stärker aus.
Das heißt aber nicht, dass hohes Tempo für bestimmte Aufgaben und Situationen nicht wichtig und auch richtig wäre! Ganz im Gegenteil: An der richtigen Stelle erzeugt Geschwindigkeit ein Hochgefühl und ist Teil echter Meisterschaft. Wofür ich hier nur plädiere, ist ein differenzierter Umgang mit diesem Thema:
Selbst dort, wo es wichtig ist, als Erste*r das Ziel zu erreichen, ist maximales Tempo nicht immer und an jeder Stelle klug und richtig und auch nicht die Bedingung.
Damit hohes Tempo einen Mehrwert schaffen kann, braucht es genug Übung, Wissen und Geduld, ansonst erhöhen wir nur die Fehleranfälligkeit und damit die Kosten.
Hohes Tempo braucht ein sicheres Umfeld, sonst greifen entweder bewusst oder unbewusst innere Schutzmechanismen der Menschen und es steigt die Anzahl der Unfälle bzw. Ausfälle (wie Burnout).
Wenn Sie sich also fragen, wie Sie als Person, im Team oder in der ganzen Organisation Tempo aufnehmen könnten, sollten Sie unbedingt dem ersten Reflex widerstehen, nämlich einfach „schneller zu machen“. Vielmehr empfiehlt es sich in einer entspannten Haltung mit den 3 Aufzählungspunkten (siehe oben) eine einfache „Tempo-Analyse“ zu machen. Eine Klausur könnte so ein typischer Moment eines entspannten Tiefgangs sein.
Um es nochmals in ein Bild zu fassen: Es geht nicht darum als Bergwanderer möglichst rasch loszurennen und dann kurz vor dem Gipfel völlig fertig auch noch von völlig entspannten und objektiv zu Beginn langsameren „Konkurrent*innen“ überholt zu werden! Vielleicht geht es in einer arbeitsteiligen Gesellschaft doch mehr darum, nach einem bereichernden Aufstieg gemeinsam den Sonnenaufgang zu erleben und gemeinsam den Erfolg feiern zu können.
Wenn also Geschwindigkeit nicht zum Selbstzweck werden soll, gilt es höheres Tempo genau dann und dort einzusetzen, wo es einen wirklichen Mehrwert bringt. Führung heißt dann schlicht die richtigen Voraussetzungen für das richtige Tempo zu schaffen, um ein Ziel zu erreichen. Getreu meinem Motto:
Menschen verbinden ∞ Zukunft gestalten
Ihr Dr. Kurt Schauer
[1] Abfahrtsrennen sind diesbezüglich als Speed-Wettbewerb sehr erhellend, weil es hier ja offensichtlich wirklich nur um maximale Geschwindigkeit geht. Und doch ist die Lage selbst auf der Strecke viel komplexer. Beobachten Sie einmal in Ruhe die eingeblendete Zeit- und Geschwindigkeitsmessung. Sie werden sehen, dass der Sieg sehr selten die schnellste Fahrt an jeder Stelle bedeuten muss.
[2] Dazu kommt noch, dass bei echten Umbrüchen auch neue (Kunst-)Fertigkeiten notwendig werden. Wer vom Stahlgießer zum 3D-Drucker oder wer vom Direktkontakter zum KI-generierten Chatbot-Anbieter werden will, muss parallel zur hohen Geschwindigkeit auch völlig neue Technologien und Prozesse einführen. Und dabei können schon sehr hohe „Bremsleistungen“ in der Organisation auftreten, die das geplante hohe Tempo völlig aushebeln können.