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Keine Zeit!?

Keine Zeit!? - Blogbeitrag von Dr. Kurt Schauer

Gerade beim Jahreswechsel wird unser Umgang mit der Zeit sehr deutlich. Wir messen einem Stichtag enorme Bedeutung bei und möglichst alles muss noch erledigt werden, damit die Welt nicht zusammenbricht. Und im neuen Jahr beginnen wir trotz guter Vorsätze rasch in das alte Muster zu kippen: Ich habe einfach keine Zeit! Wer dieser Falle entkommen will, muss zuerst die 3 Zugänge zur „Zeit“ verstehen lernen.
Viele von uns haben ihre liebe Not mit der Zeit und daher schon viele Methoden für ein besseres Zeitmanagement ausprobiert. Auch wenn diese Methoden stimmig und überzeugend sind, erleben wir meist sehr rasch eine herbe Enttäuschung: Nach anfänglicher Euphorie sind wir bald wieder im alten Trott. Um einen besseren Umgang mit der Zeit zu gewinnen, braucht es zuerst die Erkenntnis, dass es 3 gänzlich unterschiedliche Konzepte der Zeit - d.h. Zugänge von uns im Umgang mit der Zeit - gibt. Das betrifft uns als Einzelne, als Unternehmen und wohl auch als Gesellschaft. Um einen besseren Umgang mit unserem Zeitbudget zu finden, gilt es diese 3 grundlegend unterschiedlichen Ansätze zuerst einmal selbst unterscheiden zu können. Der folgende kurze Abriss soll dabei helfen:

Die voranschreitende Zeit - ist jenes Konzept, das wir in unseren Uhren und Kalendern vordergründig abgebildet haben - es ist heute für viele der dominierende und einzige Zugang im Berufsleben. Dieses Konzept geht davon aus, dass die Zeit eine klare Richtung hat, dass jeder Augenblick unwiederbringlich und unwiederholbar ist. Dieses Konzept ist Grundlage dafür, dass es so etwas wie Geschichte, Entwicklung, Strategien, Ziele oder persönliche Entwicklungspläne gibt. Es ist jenes Konzept der Zeit, das aktuell im Management vorherrschend ist. Es drängt nach vorne, verträgt kein Halten, keine Ruhe, denn alles ist einmal(ig) und kommt nicht wieder und daher darf es kein Versagen geben. Mit diesem Konzept entsteht eine enorme Dynamik und es ist die Basis für den Erfolg der westlichen Welt. Menschen, die dieses Konzept leben, bringen etwas voran und sie bringen uns voran. Gleichzeitig erzeugt dieser Zugang auf den Einzelnen allerdings auch einen enormen Druck, weil nichts gut sein kann und alles nach vorne strebt, es keine Ruhe geben kann und darf, weil es scheinbar keine zweite Chance gibt etwas „wieder gut zu machen“.

Die zyklische Zeit - ist jenes Konzept, das wir in den Jahreszeiten am stärksten erleben, es erzeugt ein ganz anderes Verständnis von Entwicklung. Dieses Konzept hebt das Wiederkehrende, den Rhythmus in jeder Entwicklung hervor: Es wird wieder Frühling werden und es wird neue Ernten geben. Dieser Ansatz gibt die Sicherheit, dass der Rhythmus des Tages, des Jahres oder anderer Rhythmen (z.B. Bilanzjahr) auch noch in vielen Jahren Orientierung und Halt geben wird. Wenn etwas heute nicht gelingt, ist das kein Beinbruch, denn es gibt ein Morgen, eine neue Chance. Kein Nein ist sozusagen endgültig. Bei Menschen aus dem asiatischen Kulturkreis, die dieses Konzept meist noch stärker leben, irritiert uns oft das Fehlen eines klaren Nein, das nicht nur dem Gesichtsverlust geschuldet ist. Dieses Konzept nimmt sozusagen den Druck aus dem Moment und einer dadurch scheinbar unumkehrbaren Zukunft heraus. Es ist auch jenes Konzept, das ganz selbstverständlich mit Tod und Geburt umgeht, denn alles lebt in einer zyklischen Entwicklung. Menschen, die dieses Konzept leben, sind verständnisvoll, ermunternd, bauen uns auf, lassen sich nicht unter Druck bringen.
Der rechte Augenblick - und über all dem gibt es noch einen dritten Zugang zur Zeit, den wir bei spielenden Kindern, Verliebten oder begeisterten Nerds am stärksten erleben. In diesem Konzept steht die Zeit sozusagen still. Es gibt nur den Moment. Was danach kommt, hat keine Bedeutung. Die Menschen gehen voll in Ihrem Tun auf und vergessen sozusagen Raum und Zeit. Es gibt keinen Plan, keine Geschichte, es gibt nur das Hineinfallen in die aktuelle Aufgabe - ohne an Konsequenzen zu denken. Wer in diesem Konzept lebt, ergreift (strategische) Optionen völlig unabhängig, ob es einen Plan dazu gibt oder ob ein anderes Ziel jetzt verfolgt werden sollte. Für einen Manager der voranschreitenden Zeit wirken diese Menschen wie „unguided missiles“, die einfach machen, was sie wollen, statt sich an Vereinbarungen zu halten. Doch diese Menschen denken in Chancen, sie sind - genau betrachtet - die einzigen, die wirklich im Moment leben. Sie zeigen uns was wirkliche Begeisterung ist.

Dieser kurze Abriss zeigt, wie unterschiedlich diese 3 Zugänge zur Zeit sind, und macht wohl deutlich, dass keine noch so perfekte Methode zur Verbesserung des persönlichen Zeitmanagements helfen wird, wenn wir nicht vorher alle 3 Ansätze verstehen lernen. Es ist eine Kulturleistung für jede_n Einzelne_n und genauso für Organisationen, diese Zugänge zuerst zu erkennen und dann mit ihnen gut jonglieren zu lernen. Jede_r von uns neigt in unterschiedlichen Situationen verstärkt zu einem dieser 3 Konzepte. Kein Zugang ist richtig oder falsch. Kein Zugang für sich wird uns ein nachhaltiges Unternehmen und Leben ermöglichen. Die richtige Antwort ist auch hier eine Frage der Balance. Wenn Sie als Führungskraft oder als Team eine produktivere und nachhaltigere Entwicklung erreichen wollen, nehmen Sie sich Zeit für die Zeit: Welche der 3 Zeit-Konzepte verfolgen Sie wann und warum? Welchen Zugang erleben sie aus welchem Grund als unterstützend, welcher nervt Sie und warum? Welchen Mehrwert könnten Sie aus der Integration eines zweiten Konzeptes ziehen? Wer steht als Person für dieses Konzept?

Das sind nur einige der vielen Fragen, die einen lustvolleren Umgang mit der heute oft als einschränkend erlebten Zeit ermöglichen. Ich hoffe Ihnen damit einen guten Impuls zu einem entspannteren Umgang mit der Zeit gegeben zu haben und würde mich freuen Sie darin als kritischer Sparingpartner und Coach unterstützen zu dürfen.

Ihr Dr. Kurt Schauer

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