Gerade in Phasen der Transformation stellt sich in allen Organisationen die Frage, wie wir rascher, mit weniger Aufwand und breit getragen zu den notwendigen neuen Lösungen kommen. Wir haben unsere Wirtschaft v.a. in den letzten Jahrzehnten sehr konsequent auf Konkurrenz als zentralen Erfolgsfaktor ausgerichtet. Nun wollen viele diese Logik auch bei den anstehenden technologischen und sozialen Transformationen anwenden. Aber hilft uns das wirklich oder verlieren wir vielmehr, weil andere einen wirkmächtigeren Zugang haben
Die Logik hinter dem Privat der Konkurrenz ist einfach und bestechend: Wer sich auf den Vorteil für das eigene Unternehmen, das eigene Team, die eigene Familie, das eigene Land, usw. konzentriert, wird gegenüber den Mitbewerberinnen und Mitbewerbern obsiegen (whatever first). Alle anderen werden vom Markt gedrängt, aufgekauft oder unterworfen/erobert und dann wird auch die für jede Transformation zentrale Ressourcenfrage fürs Erste gelöst. Die Erfolge der Neuzeit sind nicht zufällig mit Landnahme verbunden. Dieser Logik sind wir gefolgt und das mit immer demselben bestechenden Erfolg.
Doch in den letzten Jahren häufen sich die Anzeichen, dass das Prinzip insgesamt nicht mehr so gut funktioniert. So kommt Europa als Industrie-Standort - selbst in den Leittechnologien - zunehmend unter Druck. Während Europa seit der Neuzeit praktisch durchgängig durch Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sozusagen den Ton angab, ergeben sich gerade jetzt in der Phase der Transformation Risse in diesem Selbstverständnis. Doch gerade in Phasen der Transformation braucht es die Kraft für Entwicklung.
Die Frage ist allerdings, ob dies nur darin liegt, dass die anderen bessern geworden sind oder vielleicht auch doch darin, dass nicht mehr alle Grundannahmen unseres Erfolgs stimmen. In dieser Verunsicherung wird tatsächlich überlegt, gegen Asien (zuerst einmal gegen China) mit Wettbewerbseinschränkungen vorzugehen; also der „Glaubenssatz“ der freien Konkurrenz plötzlich zur Seite gestellt. Und selbst im F&E-Bereich hat das Konzept der Konkurrenz mit Abgrenzung, juristischen Fragen und kleinmütigem Controlling die Federführung über eine lustvolle, zukunftsgerichtete, inhaltliche Arbeit übernommen. Anstatt voneinander zu lernen und so die Transformation zuerst besser zu verstehen und dann rascher zu lösen, stehen wir uns lieber wechselseitig im Weg. Während Isaac Newton noch sagen konnte: „Wenn ich weitersehen konnte, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stand.“, wird der „freie Geist“ zunehmend zum „reglementierten Geist“.
Auch wenn für viele Konkurrenz das einzige Erfolgsrezept zu sein scheint, als dominierende Grundlogik des Lebens, Wirtschaftens und Denkens ist sie letztlich ein modernes Phänomen. Durch sie wurde Schritt für Schritt die Logik der Meisterschaft durch die Logik der Effizienz ersetzt, die Logik der Beziehung durch die Logik des Controllings, die Logik des Vertrauens durch die Logik der Verträge. Jede dieser Entwicklungen hatte im Kern äußerst positive Effekte und zu einem Aufstieg Europas geführt. Und doch merken wir zunehmend, dass die einseitige Vereinnahmung eines Prinzips seine negativen Folgen hat. Im Sinne von Albert Einstein „Man kann ein Problem nicht mit den gleichen Denkstrukturen lösen, die zu seiner Entstehung beigetragen haben.“ sollten wir im eigenen Interesse die anstehenden Transformationen als Lernfeld nutzen und keine Barrieren dagegen aufbauen.
Und auch im Verhältnis des einzelnen Menschen zu den Organisationen (Unternehmen, Vereine, Verbände, Staaten) zeigt sich dieser Bruch. Die Logik der Konkurrenz beginnt auch auf Ebene des/r einzelnen zunehmend die negative Kehrseite offenzulegen. Während die „alten“ Mitarbeiter*innen stark von kollektiven und kooperativen Verantwortungsmustern geprägt waren, verhalten sich die „jungen“ ganz anders und irritieren damit. Gerade die Besten unter Ihnen sind sich zusehends ihres Marktwertes bewusst, verspüren keinerlei Treue gegenüber der Organisation, sondern fordern ihre persönlichen „noch nicht einmal erworbenen“ Rechte und pochen selbstbewusst und wie selbstverständlich auf ihre individuellen Vorteile. Digitalisierung und Corona haben dabei noch als „Brandbeschleuniger“ gewirkt. Kurzum, die auf der Makroebene bereits gut eingeübte Logik der Konkurrenz wurde dorthin übertragen, wo wir sie „eigentlich“ nicht haben wollten. Und gerade jene Branchen, die den Konkurrenzgedanken am meisten forciert haben, stehen diesem Phänomen am fassungslosesten gegenüber. Hinter vorgehaltener Hand werfen sie dann den jungen Leuten vor, dass sie sich nicht mehr zuerst für das Unternehmen (also das Gemeinsame) einsetzen, sondern „nur“ mehr auf ihre Vorteile schauen würden. Homeoffice, Teilzeit und Work-Life-Balance mit Fokus Life sind dann die Trigger-Begriffe des unternehmerischen und universitären Entsetzens. Dabei verhalten sich die jungen Menschen bei Lichte betrachtet nur konsequent, indem sie die allgegenwärtige Konkurrenz-Logik auch für sich konsequent anwenden! Wie so oft, vergessen wir, dass einseitige Anwendungen von Prinzipien mit der Zeit ganz grundsätzlich zum Problem werden.
Soweit eine kurze Analyse der sich zeigenden Brüche. Diese zeigen, dass Konkurrenz ein erfolgreiches Prinzip war und wohl auch sein wird. Sie machen aber gleichzeitig auch deutlich, dass die einseitige Betonung negative Folgen hat. Um der Kooperation als „Schwesterntugend“ der Konkurrenz eine Chance als allgemeine Grundlogik zu geben, sollten wir zuerst verstehen, unter welchen Bedingungen Konkurrenz überhaupt an seine Grenzen stößt und warum. Dies gibt uns dann einen Hinweis dafür, was passieren muss, damit Kooperation als Gegenpol zur Konkurrenz[1] wieder wirkmächtiger werden kann:
Wenn wir z.B. Lebensmittel und Energie brauchen, hilft die Entscheidung zwischen Landwirt*in und Investor*in für PV-Anlagen nicht weiter. Wenn wir Innovation brauchen und gleichzeitig die Menschen die Veränderungsdynamiken nicht mehr ertragen wollen oder können, dann führt die Wahl zwischen Fortschritt und Rückzug der Menschen genau dorthin, wo wir heute stehen.
Diese fünf Voraussetzungen speisen sich aus meinen Erfahrungen und Beobachtungen in Organisationen, stellen allerdings keine systematische oder gar wissenschaftliche Zusammenstellung dar. Zu den Begriffen Kooperations-Mehrwert, Kooperations-Plus oder Kooperationsvorteil verhält sich das Internet vergleichsweise zurückhaltend. Neben Fachleiten aus Biologie und Mathematik wird noch der Roman von Marc-Elsberg erwähnt. In seinem Buch „Die Bauernfabel“[2] erklärt er darin in sehr einfachen Bildern, wie durch Zusammenlegen und Teilen (pooling and sharing) langfristig mehr Wohlstand geschaffen wird. Kurzum da stehen wir noch am Anfang.
Was wir allerdings aus jeder guten Zusammenarbeit und jeder guten Beziehung ganz intuitiv wissen, ist, dass langfristig erfolgreiche Partnerschaften „Vertrauen als Schmiermittel“ brauchen. Nur damit lassen sich Lösungen erarbeiten, die größer sind als die einzelne. Wir sollten daher unser Wissen aus dem privaten, öffentlichen und ehrenamtlichen Bereich verstärkt für den betrieblichen Bereich nutzen. Denn dort hat sich Kooperation als Grundmuster für Erfolge (noch) gehalten. Egal ob es große Dinge sind, wie der Betrieb der internationalen Raumstation ISS oder die ganz private Welt, wie das Zusammenstehen in einer Familie nach einem Schicksalsschlag, Kooperation ist die Voraussetzung für Vieles.
Ich wünsche Ihnen/Dir dass diese Ausführungen deutlich machen, wie wichtig ein Umdenken gerade bei anstehenden transformativen Situationen ist, um durch einen kooperativer Modus einen größeren Mehrwert für mehr Menschen zu schaffen. Dies entspricht im Kern genau meinem Motto:
Menschen verbinden ∞ Zukunft gestalten
Ihr Dr. Kurt Schauer
[1] Das Primat der Konkurrenz speist sich aus den Überlegungen von Darwin, wobei übersehen wird, dass der alt-englische Ausdruck "concurrency" eine Doppel-Bedeutung hatte: einerseits Kompetition, Rivalität und andererseits: Kooperation. Dies wird auch in den Arbeiten des Evolutionstheoretiker Martin Nowak (Martin A. Nowak mit Roger Highfield: Kooperative Intelligenz – Das Erfolgsgeheimnis der Evolution, H.C.Beck, München 2013) deutlich, der neben der Selektion und Mutation die Kooperation als dritte Kraft ins Zentrum rückt. Er meint sogar, dass sich die Entstehung und Entwicklung höherer Lebensformen überhaupt nur unter Einbeziehung ihrer Kooperationsformen beschreiben lässt.
[2] Die Bauernfabel basiert auf den bahnbrechenden Arbeiten der Wissenschaftler am London Mathematical Laboratory: www.lml.org.uk, animierte Folien dazu finden sie unter: www.farmersfable.org