Musik und Management - Dr. Kurt Schauer
Von der berechtigten Liebe zur Abweichung vom Soll
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Wer mit dem Beginn beginnt, ist immer zu spät!
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Während es bei einem Chor mit Dirigenten klar ersichtlich ist, wer hier das „Regiment“ führt, ist es bei einem Ensemble völlig unklar. Alle stehen in einem leichten Halbkreis und keiner zwischen ihnen und den Zuhörern ist da und sagt, wo es langgeht? Wie kann das ein besseres Ergebnis liefern? Erinnert Sie das an Diskussion über das Ende der klassischen Führungskraft? Dieser Artikel bringt wieder Analogien aus der Musik ein, was uns erfolgreiche Konzerte für das Management lehren!

"Musik und Management"



Zuerst zum klassischen Chor mit Dirigent - also der Analogie zur klassischen Führungsfunktion. Der Vorteil im Chor ist klar. Jede/r Sängerin konzentriert sich voll auf den Dirigenten, alle sind ausgerichtet. Jede kleine Anpassung in Tempo, Lautstärke, jede Betonung, jede kleinste Abweichung in der Tonhöhe wird sofort angezeigt und direkt korrigiert. Alle bleiben auf Kurs. Ich muss mich nur auf mich und den Dirigenten konzentrieren. Der unbedingte Augenkontakt ist unser Verbindungskanal; hier wird alles vermittelt, was ich für einen guten Auftritt brauche.

Ein ganz neues Führungskonzept

Wer allerdings jemals die Vorzüge eines Ensembles erlebt hat, spürt sofort die Nachteile der klassischen Struktur von Chor und Dirigent. Durch die völlige Konzentration auf den Dirigenten verliert das Publikum völlig an Bedeutung, ich sehe es gar nicht, ich soll mich ja nicht ablenken lassen. Außerdem konzentriere ich mich nur auf mich und meine Stimme. Was die anderen tun, ist nicht meine Sache, darum kümmert sich der Dirigent. Meine Aufmerksamkeit ist völlig auf eine Schlüsselstelle fokussiert, nämlich den Dirigenten. Der direkte Kontakt zum Publikum – also den Kunden – und den anderen Sängern – also den Mitstreitern – ist nicht relevant. Alles liegt in einer Hand. Und zweifellos bringt dieses Führungs- konzept tolle Ergebnisse.

Wie ist es nun beim Singen in einem Ensemble? Wer führt hier, wenn kein Dirigent da ist? Kann das überhaupt zu besseren Ergebnissen führen oder endet das im Chaos und Minderleistung? Die Leistungen der Ensemblemusik sprechen wohl für sich!

Klare Aufgabenteilung und mehr

Doch die Frage wie Führung hier funktioniert, ist leichter gestellt als beantwortet. Es beginnt schon vor dem ersten Ton. In meinem Ensemble ist es zum Beispiel so, dass einer die Töne angibt und ein anderer das Tempo einzählt. Das heißt, schon zu Beginn sind die Führungsrollen klar aufgeteilt. Und dann kommen die ersten Takte und alles Mögliche kann passieren, auf jeden Fall sind das Tempo, die Lautstärke und auch die Tonhöhe drei Faktoren, die immer wieder gemeinsam abgestimmt und eingestellt werden müssen. Aber wer hat dabei den Lead? Wer führt? Ist es der Bass, der das Fundament bildet? Ja, sicherlich! Oder ist es die jeweilige Melodiestimme, die in manchen Stücken noch dazu zwischen den Stimmen wechselt? Ja, auch das stimmt! Oder sind es die Mittelstimmen, die gerade bei Harmoniewechseln durch entsprechende Einwürfe die Überleitun- gen absichern? Ja, auch das stimmt! Wenn es einen Solisten gibt, also einen, der wirklich aus dem Ensemble akustisch und auch räumlich heraussticht – denn er tritt meist vor das Ensemble – hat der immer recht, das ist wohl eine ganz klare Regel. Die anderen passen sich an, selbst wenn er einen Takt auslässt, das Ensemble geht mit. Aber was passiert, wenn er zu schnell wird oder etwas zu tief? Wer gibt als erster nach? Wie lange wird dagegen gehalten?

Wer ist es jetzt wirklich, der führt?

Letztlich ist es eine Frage der guten, das heißt gemeinsamen und achtsamen Abstimmung im Ensemble – also dem Team. Hier hilft nur aufeinander hören! Sich auf einander einstimmen! Sich selbst und die anderen wirklich wahrnehmen! Und das bei gleichzeitiger Konzentration auf das Publikum.

Dieses besondere Gefühl - wirklich bei und mit den anderen zu sein - erleben Sie nur beim Musizieren im Ensemble. Sobald ein Dirigent da ist, bildet er eine Barriere, der den Faden zum Publikum – d.h. zum Kunden hin – und auch zu meinen Mitsängern abschneidet. Auch wenn Sie selbst noch nie gesungen haben, hoffe ich, dass sie dieses radikal andere Erleben erahnen können. Ich kann es Ihnen nur empfehlen, der Unterschied ist gewaltig. Allerdings: Das ist kein Selbstläufer, das braucht Übung, Übung, Übung!

Vier Erkenntnisse für Ihre Führungsarbeit

Und eines ist zentral: Wenn dies gelingen soll, muss ich mich als Sänger völlig anders verhalten! Ich muss ja wirklich: MUSS! - im Falle eines Ensembles viel offener sein, damit das Stück wirklich, wirklich gelingt, damit wir wirklich mit dem Publikum in Resonanz kommen!

Vier Voraussetzungen, die sich daraus auch für Organisationen ergeben – wenn Sie an neue Führungsmo- delle denken - möchte ich noch kurz skizzieren:

1) Es verlangt eine ganz andere Offenheit und Bereitschaft der einzelnen Akteure, sich wechselseitig wahrzunehmen. Wer nur einen starken Führer sucht und dann ist alles gut, wer nicht selbst bereit ist, zu jeder Zeit Verantwortung zu übernehmen und im nächsten Moment einem anderen die Führung zu überlassen, wird keinen guten Beitrag leisten können. 2) Es setzt alle direkt dem Kunden aus, denn es gibt keinen Filter durch die eine Führungskraft – den Dirigenten jeder muss Führungskraft hin zum Kunden sein wollen und gleichzeitig bereit sein, sich für ein optimales gemeinsames Ergebnis unterzuordnen – denn es gibt nur ein Ziel: eine gute, gemeinsame Performance.

3) Es braucht eine gute Probenzeit, denn dieses Zusammenspiel will eingeübt sein. Diese radikale Form der Verantwortung jedes Einzelnen für das Ergebnis ist ein erhebendes Gefühl, das sich nicht von selbst und gratis einstellt. Es braucht das Einüben. Dazu stellt sich in der Probenzeit einer ganz bewusst außerhalb des Kreises und hört genau hin, wo es was zu schärfen gibt. Ob das einer aus der Runde ist oder ein Externer, ist dabei sekundär. Ziel ist es, aufeinander eingestimmt zu sein, wenn die Unwägbarkeiten der Aufführung uns letztlich voll fordern werden.

4) Und es bedingt auch, dass wir nicht nur unsere jeweilige Aufgabe – d.h. Stimme und Choreographie wirklich beherrschen, sondern dazu auch noch wissen, was die anderen zu tun haben. Ich kann auf den anderen nur dann wirklich eingehen, mich einstellen und einschwingen, wenn ich weiß, was jetzt im besten Fall kommen wird. Jeder muss sozusagen das Gesamtbild der Leistung für unser Publikum – also den Kunden – in sich tragen.

Wenn Sie also kooperativere, agilere Führungsmo- delle umsetzen wollen, kann ich Ihnen die Analogie aus der Musik nur ans Herz legen. In der Arbeit in Ensembles ist gemeinsame Führung mit dem Ziel, die bestmögliche Performance für das Publikum zu erreichen, seit jeher das erklärte Ziel und auch geleb- te Praxis! Und das wollen ja letztlich auch die meisten Unternehmen. Lassen Sie sich von der Analogie der Musik inspirieren, sei es die notwendige Vorbereitungsarbeit – in der Probenzeit und direkt vor dem Beginn des Stücks – oder die notwendige implizite Abstimmungsarbeit bei der Aufführung selbst. All das brauchen Sie auch bei Veränderungen im Füh- rungsverhalten in Ihrem Unternehmen, wenn Sie nä- her zum Kunden und zu einem perfekten Gesamtergebnis kommen wollen.

Doch: aus einem Chorsänger der einen starken Dirigenten gewohnt ist, wird nicht über Nacht ein guter Ensemblesänger, nur weil sie ihm den Dirigenten wegnehmen. Das ist ein völlig anderes Spielfeld, das braucht Übung und eine neue Form der Aufmerksamkeit, die man Lernen kann. Ja - und das ist vielleicht die weniger gute Botschaft: Auch lernen muss!

Wenn Sie also daran denken in Ihrem Unternehmen die Führungslogik zu verändern, leistet die Analogie aus der Musik wirklich gute Dienste. Denn: so intensiv und existentiell wie beim Singen, so unmittelbar und direkt vom Kunden sanktioniert erleben sie Führungsarbeit nur selten im Leben! Genau diese Erfahrung und dieses Wissen möchte ich gerne für Sie nutzbar machen.

Ihr Kurt Schauer


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