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Authentisch – bitte nicht!

Authentizität ist zu einem Sehnsuchtsbegriff im Personalmarketing und im Vertrieb geworden. Es braucht angeblich den voll-authentischen Menschen, alles andere sei nicht wirkungsvoll, ja sogar brandgefährlich, weil es mehr Sein und weniger Schein brauche. Doch da wird eines übersehen: Es gibt genauso gut authentische Nörgler, Diebe, Egoisten, Ausnützer, Sadisten, Falschspieler, Lügner, … Was wir in unseren Organisationen wirklich brauchen, sind vielmehr kultivierte Menschen!
Authentisch bedeutet laut Duden echt, glaubwürdig, glaubhaft, ursprünglich. Wenn also „Authentisch-Sein“ als Ziel gesehen wird, bedeutet das nichts weniger als unserer Natur gerecht zu werden, also ursprünglich zu sein. Nun gibt es aber nicht nur die „tugendhafte Natur“, sondern auch unsere Abgründe - um es etwas drastisch auszudrücken - es gibt eben auch echte „A-löcher“. Die Managementliteratur blendet solche kraftvollen Begriffe und die dahinterstehenden „natürlichen Muster“ der Menschen gerne aus. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass diese destruktiven Formen - die sehr authentisch sein können - viele Teams und Führungskräfte an den Rand des Erträglichen führen.

Dass Authentizität in den letzten Jahren fast ausschließlich positiv gesehen wird, hängt wohl mit einer sukzessiven Umdeutung des Kulturverständnisses zusammen: Die Annahme ist dabei, dass sich die Natur des Menschen nur genügend Platz verschaffen muss, während Kultur vor allem dazu diene, das wahre und echte Ich zu behindern bzw. zu deformieren. Was dabei in aller Euphorie übersehen wird: Es gibt leider auch viele ganz natürliche Verhaltensmuster, die in einer Organisation auf keinen Fall authentisch ausgelebt werden sollten!

Wer den Menschen - als Mitarbeiter*in, Kunden/Kundin, Lieferanten, Geschäftspartner*in - gerecht werden will, muss vielmehr anerkennen, dass praktisch immer unterschiedliche Interessen aufeinander-treffen. Die Kunst liegt nun darin, diese Interessen möglichst zum Nutzen für alle Betroffenen auf Augenhöhe auszugleichen. Und das verlangt nach Menschen, die ihre eigenen Gefühle nicht einfach authentisch ausleben, sondern sich im Griff haben. Was es braucht, sind Menschen, die jenseits der eigenen - authentischen - Bedürfnisse so viel Selbstkontrolle an den Tag legen, dass sie die Bedürfnisse des Gegenübers erkennen, annehmen und verstehen wollen, bevor sie den eigenen freien - d.h. authentischen - Lauf lassen. Es geht also um eine Kulturleistung der Menschen und nicht um die reine Natur. Um es noch deutlicher zu machen: Eine der alten Kulturformen des guten Zusammenarbeitens war jene der Höflichkeit. In der allgemeinen Authentizitätsfixierung der letzten Jahrzehnte wurde die Höflichkeit allerdings immer mehr als oberflächliche, strukturkonservative, genderfeindliche und damit einfach abzulehnende Haltung gebrandmarkt. Mit dieser einseitigen Sichtweise wurden allerdings der Vorteil und der Wert dieser Haltung völlig übersehen: Höflichkeit verzichtet nämlich auf eine unreflektierte und gnadenlos ehrliche - also authentische - Reaktion.
Höflichkeit macht vielmehr den notwendigen Raum und die notwendige Zeit für den Abgleich von Interessen auf. Ganz praktisch formuliert: Wenn eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter oder eine Kollegin bzw. ein Kollege einen wirklich schlechten Vorschlag macht, gebietet die Höflichkeit nicht sofort zu sagen, was das für ein „Sch…“ sei, denn damit wird jede produktive Diskussion im Keim erstickt und die weitere Zusammenarbeit auf einen echten Prüfstein gestellt. Höflichkeit lenkt die Energie vielmehr auf die Lösung, indem man z.B. sagt: „Ich stimme zwar nicht in allen Punkten mit deiner/Ihrer Darstellung überein, doch diesen Punkt sollten wir vertiefen. …“ Und damit steht das im Raum, was zu einer produktiven Lösung führen wird.

Und genau das brauchen wir in unseren Organisationen heute mehr denn je: einen kultivierten Menschen, denn er lenkt die Aufmerksamkeit auf die gemeinsamen Lösungen. Was wir nicht brauchen ist, dass jede und jeder die eigenen Befindlichkeiten als das einzig Wahre und Ursprüngliche vor sich ganz authentisch herschiebt. Denn damit wird die ganze Aufmerksamkeit auf die jeweiligen Befindlichkeiten - so wahr sie auch immer sein mögen - gelenkt und nicht mehr auf die Lösungen. Doch Lösungen sind die Aufgaben von Organisationen und nicht das Verhandeln von Befindlichkeiten. Und ganz nebenbei: Wenn alle ihre Natur ganz authentisch ausleben, gibt es dann bei Widersprüchen eine richtigere, authentischere Natur?

Mit dieser pointierten Darstellung laufe ich vermutlich Gefahr missverstanden zu werden, denn man könnte meinen, dass ich wahre, echte Gefühle geringschätze. Doch das Gegenteil ist der Fall! Gefühle sind Reaktionen auf das Draußen, sie sind somit Antworten und niemals die Natur selbst. Ob ich mich nun über etwas ärgere, verzweifle, es annehme oder gar als Chance begreife, hängt dabei nicht von der objektiven Situation, also der Natur, ab. Es hängt vielmehr von mir selbst ab und davon, welche der Optionen ich letztlich wähle. Erst diese Wahl macht mich zu einem wahrlich-authentischen Mensch. Es geht also nicht um die erste unreflektierte Reaktion worauf auch immer, sondern um eine Entscheidung hin zu mir als Menschen, eben als kultivierten Menschen!

Gerade in den aktuellen Umbruchzeiten, brauchen wir eine Kultur des Gemeinsam-Handeln-Wollens und -Könnens und damit um die volle Konzentration auf Lösungen und nicht auf Befindlichkeiten - wie authentisch diese auch immer sein mögen. Dass Ihnen/dir dieser Blickwechsel möglichst oft gelingen möge, wünsche ich von ganzem Herzen. Und wenn ich Sie/dich dabei als strategischer Begleiter und Moderator unterstützen darf, würde mich das sehr freuen. Getreu meinem Motto:
Menschen verbinden ∞ Zukunft gestalten


Ihr Zukunftsberater
Dr. Kurt Schauer

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Authentisch – bitte nicht!
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