Authentisch bedeutet laut Duden echt, glaubwürdig, glaubhaft, ursprünglich. Wenn also „Authentisch-Sein“ als Ziel gesehen wird, bedeutet das nichts weniger als unserer Natur gerecht zu werden, also ursprünglich zu sein. Nun gibt es aber nicht nur die „tugendhafte Natur“, sondern auch unsere Abgründe - um es etwas drastisch auszudrücken - es gibt eben auch echte „A-löcher“. Die Managementliteratur blendet solche kraftvollen Begriffe und die dahinterstehenden „natürlichen Muster“ der Menschen gerne aus. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass diese destruktiven Formen - die sehr authentisch sein können - viele Teams und Führungskräfte an den Rand des Erträglichen führen.
Dass Authentizität in den letzten Jahren fast ausschließlich positiv gesehen wird, hängt wohl mit einer sukzessiven Umdeutung des Kulturverständnisses zusammen: Die Annahme ist dabei, dass sich die Natur des Menschen nur genügend Platz verschaffen muss, während Kultur vor allem dazu diene, das wahre und echte Ich zu behindern bzw. zu deformieren. Was dabei in aller Euphorie übersehen wird: Es gibt leider auch viele ganz natürliche Verhaltensmuster, die in einer Organisation auf keinen Fall authentisch ausgelebt werden sollten!
Wer den Menschen - als Mitarbeiter*in, Kunden/Kundin, Lieferanten, Geschäftspartner*in - gerecht werden will, muss vielmehr anerkennen, dass praktisch immer unterschiedliche Interessen aufeinander-treffen. Die Kunst liegt nun darin, diese Interessen möglichst zum Nutzen für alle Betroffenen auf Augenhöhe auszugleichen. Und das verlangt nach Menschen, die ihre eigenen Gefühle nicht einfach authentisch ausleben, sondern sich im Griff haben. Was es braucht, sind Menschen, die jenseits der eigenen - authentischen - Bedürfnisse so viel Selbstkontrolle an den Tag legen, dass sie die Bedürfnisse des Gegenübers erkennen, annehmen und verstehen wollen, bevor sie den eigenen freien - d.h. authentischen - Lauf lassen. Es geht also um eine Kulturleistung der Menschen und nicht um die reine Natur.
Um es noch deutlicher zu machen: Eine der alten Kulturformen des guten Zusammenarbeitens war jene der Höflichkeit. In der allgemeinen Authentizitätsfixierung der letzten Jahrzehnte wurde die Höflichkeit allerdings immer mehr als oberflächliche, strukturkonservative, genderfeindliche und damit einfach abzulehnende Haltung gebrandmarkt. Mit dieser einseitigen Sichtweise wurden allerdings der Vorteil und der Wert dieser Haltung völlig übersehen: Höflichkeit verzichtet nämlich auf eine unreflektierte und gnadenlos ehrliche - also authentische - Reaktion.