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Achtung vor Best Practice!

Dieser Beitrag ist für alle, die mehr als Nachahmer*innen sein wollen! Es gibt immer mehr als einen! Die Suche nach Best Practice ist in vielen Organisationen zur Richtschnur für Entscheidungen und Innovationen geworden. Ein wirklich innovativer Kunde machte mir allerdings wieder bewusst, wie wenig die negativen Seiten dieses Ansatzes gesehen werden. Wir meinen, dass es die EINE beste aller Lösungen geben könnte, und übersehen dabei die eigenen - vielleicht noch verschütteten - Qualitäten und Alleinstellungsmerkmale!
Die Suche nach Best Practice hat selbstverständlich viele positive Effekte, zeigt es uns doch wie andere -Organisationen, Teams oder Führungskräfte - exzellente Lösungen umgesetzt haben. In diesem Beitrag möchte ich mich jedoch auf die andere Seite der Medaille konzentrieren, die offensichtlich sehr wenig beachtet bzw. zu leicht übersehen wird.

Vor ein paar Jahren machte ein Beitrag im Havard Business Manager über den Mode-Konzern Zara das ganz deutlich: Zara war einer der wenigen Unternehmen in der Branche, der eine wirklich gute Marge machte. Der Grund lag aber nicht darin, dass sie sich an den anderen Best-Practice Beispielen orientierten, sondern bewusst einen eigenen Weg gingen. Sie machten in wichtigen Punkten genau das Gegenteil von dem, was in der Branche als Best Practice gelebt und erwartet wurde: Sie setzten auf höhere (!) Logistikkosten und teurere (!) Produktion in Europa! Wieso? Weil sie dadurch rascher am Markt sein wollten als die Konkurrenz, d.h. rascher auf die sich ändernden Wünsche der Kund*innen reagieren konnten. Betrachtet man also nicht den ganzen Ansatz, sondern nur einzelne Elemente wie z.B. Logistik- oder Produktionskosten, läuft man schnell in die Irre. Und selbst wenn man den Ansatz in seiner Gesamtheit, mit den vielen auf den ersten Blick oft nebensächlich erscheinenden Aspekten, erkennt: Diese zu kopieren ist oft schwerer als gedacht.

Ganz grundsätzlich machen uns daher Best-Practice Nachahmungen ohne die notwendige Vorsicht und Gesamtsicht sehr rasch zu schlechten Nachahmer*innen. Wer das Zusammenspiel der Gesamtlösung nicht versteht - und da gehört auch das eigene Umfeld, die eigene Tradition, das eigene Geschäftsmodell, die eigene Struktur u.v.m dazu - wird letztlich einen hohen Aufwand in der Organisation erzeugen und sogar das Gegenteil von dem erreichen, was das Best-Practice-Beispiel scheinbar so leicht geschafft hat. Ich will hier nur zwei grundlegende Aspekte herausgreifen, wieso sich eine gute Idee, ohne das notwendige Wissen, das notwendige Umfeld, die notwendige Hingabe und vieles mehr genau in das Gegenteil der erwarteten Wirkung verkehren kann. Je weniger hinterfragt dabei eine tolle Vorlage - eben das Best Practice - kopiert wird, desto sicherer ist der Misserfolg. Am Schluss steht dann nur die Frage: Und wieso klappt das bei uns nicht?

  • Das Konzept der Meisterschaft - eine trotz aller Beteuerungen auch in Europa zunehmend gefährdete Haltung - geht anders an die Frage von Alleinstellung heran als das heutige Schielen auf Best-Practice: Die Person in Ausbildung (Lehrling, Geselle) lernt mit vollem Einsatz alle Schritte bis ins Detail und „erträgt“ mit Geduld alle Ratschläge. Diese Auszubildenden sind vom Wunsch getragen, etwas Besonders leisten zu wollen und nehmen sich daher genug Zeit zum Lernen. Die Basis ist dabei alles zu verinnerlichen, was zur Meisterschaft gehört. Das Ziel ist allerdings nicht die Kopie, sondern im nächsten Schritt mit der eigenen persönlichen Note das Verinnerlichte in neue Höhen zu führen und über die Lösung des Lehrmeisters hinauszugehen. Nicht umsonst können wir heute noch bei alten Instrumenten genau sagen, welcher Meister diese gefertigt hat. Für den Laien mögen diese alle gleich ausschauen - doch die wahre Meisterschaft zeigt sich für den Kunden bzw. die Kundin in vielen kleinen Details, die dann den Unterschied machen. Der Blick auf Best-Practice liefert in diesem Verständnis nämlich nicht die Lösung, sondern die Basis und ist ein Durchgangsstadium.
  • Die Verlockung der Oberflächlichkeit: Mitarbeiter*innen reagieren auf das Thema Best-Practice oft recht skeptisch, was von Führungsseite wiederum rasch als Abwehrhaltung und Veränderungsunlust interpretiert wird. Das wird wohl auch zum Teil so stimmen. Doch für uns ist ein anderer Aspekt dieser Reaktion viel wichtiger: Gerade bei den erfahrensten Mitarbeiter*innen besteht eine Furcht, in den vielen operativen Details nicht die notwendige Expertise zu haben, damit das Best-Practice in seiner Gesamtheit überhaupt gelingen kann. Wenn wir wirklich ein Best Practice für uns nutzbar machen wollen, müssen wir nämlich unseren Blick auf die vielen Details lenken, die wir so noch nicht eingeübt haben und auf den ersten Blick nicht einmal als wichtig erkennen können. Und gleichzeitig beinhaltet es die Gefahr, dass wir die Aufmerksamkeit von dem ablenken, was wir bereits wirklich gut können. Best-Leistung braucht wirkliche Hingabe und konsequentes Einüben. Unsere Logik heute ist allerdings meist jene einer möglichst raschen Lösung. Aus dieser Spannung entsteht bei den Menschen ganz unbewusst eine quasi „natürliche“ Furcht, etwas einführen zu müssen, wofür sie dann nicht die notwendige Zeit haben werden - vor allem für die vielen operativen Details. Nachdem ein Best-Practice aber erst durch das optimale Zusammenspiel vieler solcher Aspekte und Fertigkeiten zum Best-Practice wird, laufen wir Gefahr, viel Aufwand für wenig Gewinn zu erzeugen. Noch schwerer wiegt dabei die Tatsache, dass wir so auch noch Gefahr laufen, den bei uns schon grundgelegten Best-Practice-Ansatz - d.h. besondere Fertigkeiten - zu vernachlässigen oder gar zu verlieren. Hart formuliert: Wir werden zu einer schlechten Kopie ohne eigenen Charakter und wundern uns, dass wir trotz der Anstrengungen kein Best-Practice geworden sind.
Wenn Sie sich daher von einem Best Practice angezogen fühlen - was eine wirklich gute Inspiration ist - wünsche ich Ihnen jene notwendige Selbstsicherheit, dass Sie dabei nicht die eigenen oft wenig erkannten oder noch zu wenig entwickelten Alleinstellungs-merkmale übersehen, sondern das Best- Practice als Anregung dafür nutzen, wie Sie diese eigenen Qualitäten besser für Ihre Kund*innen erlebbar machen können. Denn Alleinstellung - der Blick auf das Besondere - beruht auf eigenständigen Strategien. Zur Schärfung dieses Blicks braucht es oft eine außenstehende Person, die die scheinbaren (inneren) Selbstverständlichkeiten als das Besondere erkennen hilft. Wenn ich dazu in meiner Rolle als kritischer Beobachter und strategischer Begleiter einen Beitrag leisten könnte, würde mich das sehr freuen.

Ihr Zukunftsberater
Dr. Kurt Schauer

Publikation

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