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Der heurige Phyisk-Nobelpreisträger Anton Zeilinger sagt in einem Interview [1] und ich zitiere: „Unser System ist zu sehr auf Planung ausgerichtet“ und weiter „Ich stelle mir vor, dass man NICHT jemandem Geld dafür gibt, dass er einen akkuraten Plan vorlegt, was er alles machen will. Sondern dass er es dafür bekommt, dass er eine gute Idee hat, von der er vielleicht gar nicht weiß, ob er sie umsetzen kann.“ Und er zitiert auch Einstein, der auf eine vorgelegte gute Idee gesagt haben soll: „Ihre Idee ist verrückt, aber nicht verrückt genug“. Diese Aussagen sind natürlich stark vom Standort geprägt, also aus einem Forschungsfokus heraus. Und doch weisen sie auf etwas hin, was wir auch aus dem betrieblichen Alltag allzu gut kennen: Zu detaillierte Vorstellungen, was „eigentlich“ sein muss, verstellen uns oft die Sicht auf das, was wirklich möglich wäre. Wenn wir nämlich wirklich zuhören oder hinsehen würden, könnte sich etwas eröffnen, was vorher noch nicht wahrgenommen wurde. Für alle Organisationen und Führungskräfte steht also die Frage im Raum: Liegt unser Fokus genug auf den guten Ideen oder geben wir uns zu sehr akkuraten und detaillierten Plänen hin, obwohl ohnehin jede*r weiß, dass sie so nicht halten werden?[2]

Die Grazer Bachmann-Preisträgerin Nava Ebrahimi stößt aus einer ganz anderen Richtung und in einer ganz anderen Art und Weise in ihrem Artikel „Ein Loblied auf die Naivität“[3] trotzdem genau in dasselbe Horn. Sie stellt der Versuchung „schnell eine unerschütterliche Meinung zu haben, stets Bescheid zu wissen“, also dieser Selbstüberschätzung und Verweigerung durch die Positionen der anderen klüger zu werden, eine eigene Definition von Naivität gegenüber: „Naivität als bewusste Entscheidung dafür, an eine grundsätzliche Kooperations- und Lernfähigkeit des Menschen zu glauben.“ Sie stellt damit der heute leider üblichen einseitigen Abwertung des Begriffs Naivität, die positive Qualität gegenüber, die für ein gutes Zusammenspiel von Menschen und für jede Entwicklung unbedingt notwendig ist: die Qualität unbefangen, ohne Hintergedanken, aufrichtig, vertrauend auf das Gegenüber zuzugehen. Für alle Organisationen und Führungskräfte steht hier eine ähnliche Frage im Raum: Lassen wir uns primär auf das Unerwartete und das Unerwartbare freudvoll ein oder fokussieren wir uns von Beginn weg – scharfsinnig erscheinend – auf das Problematische im anderen Argument?

Und diese beiden in der Adventzeit veröffentlichten Aussagen führen uns nun schnurstracks in den Kern der Weihnachtsbotschaft[4]: „Fürchtet Euch nicht!“ Wir haben uns zwar in den letzten Jahren als Gesellschaft stark auf die Krisenhaftigkeit unserer Gesellschaft konzentriert, und diese Haltung sickert zunehmend auch in die Organisationen und Führungskräfte ein.  

Doch in den Wurzeln unserer Kultur – also auch im Weihnachtsfest –wird die Phase des Umbruchs ganz anders, nämlich positiv[5], interpretiert: Die Geburt wird als positiver Umbruch in das Leben hinein gesehen, und das trotz Armut und Verfolgung durch die römische Ordnungsmacht. Selbst bei einem so grundlegenden religiösen Bild der Weihnachtsbotschaft[6] können heute viele Menschen die Verbindung zum Heute als Organisationen und Führungskräfte nur mehr schwer herstellen, daher ein Versuch von mir: Konzentrieren wir uns stärker auf das Positive, auf die produktiven Botschaften im Unerwarteten oder gar Unerwünschten oder unterwerfen wir uns den damit erwarteten negativen Begleiterscheinungen?

Diese drei Aussagen entstammen ganz unterschiedlichen Hintergründen und doch zielen sie aus meiner Sicht auf dasselbe ab: Wie wir Entwicklung gestalten! Also genau auf jene Fragen, die wir uns zu Weihnachten und beim Jahreswechsel immer wieder stellen.

Wie wir sie beantworten, hängt nun davon ab, welche Grundhaltung wir einnehmen. Das Angebot dieser drei Impulse ist es, uns zuerst auf die guten Ideen vorbehaltlos und ohne Furcht einzulassen. Dadurch wird das möglich, was positive Entwicklung und Innovation im eigentlich Sinne bedeuten. Die Gegenpole Planung, Kritik und Vorsicht folgen erst danach und zwar als Instrumente und nicht als Grundhaltung!

Damit verändert sich alles ganz fundamental bis hinein in die einzelnen Gespräche, Abstimmungen und das Miteinander im betrieblichen Alltag. Dann wird der Kern Weihnachtsgeschichte in unserer ganz profanen Welt der Organisation und des betrieblichen Alltags direkt erlebbar, denn offensichtlich gibt es danach ja auch in unserer säkularen Zeit eine tiefe Sehnsucht.

Dass Ihnen/Dir/Euch dieses vorbehaltlose Aufeinander-Zugehen und dieses gemeinsame furchtlose Weiterspinnen von guten Ideen im neuen Jahr 2023 noch besser gelingen möge, wünsche ich von ganzen Herzen.

Ihr Kurt Schauer

[1] Interview mit dem Physiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger in der Kleinen Zeitung am 11.12.2022
[2] Aus einer kritischen Perspektive fallen ohnehin beide Positionen zusammen, denn beide beruhen letztlich auf einer Illusion im positiven Sinn des Wortes.
[3] Artikel der in Graz lebenden Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin in der Kleinen Zeitung am 27.11.2022
[4] Mittlerweile bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob hier nicht auch ein Zitat notwendig wäre!
[5] Positiv bedeutet in diesem Verständnis „eine gute Lösung“. Und wenn wir die Diskussionen rund um die großen und kleinen Krisen betrachten, hat man oft den Eindruck, dass viele Menschen gar nicht mehr an eine gute Lösung glauben. Dabei vermittelt die Weihnachtsbotschaft einen noch viel radikaleren Anspruch: Sie hält nicht bloß einzelne Lösungen für möglich, sondern Erlösung als Ganzes. Vielleicht liegt darin auch heute noch das Faszinosum von Weihnachten weit über das Religiöse hinaus.
[6] Im Spanischen heißt „Frohe Weihnachten“ ja „Feliz Navidad“ (also wörtlich die glückliche Geburt). Und das Spannende ist, dass der Wortstamm von „naiv“ (über das französische „naïf“) das lateinische Wort „nātīvus“ ist  – also geboren. Über diese sprachliche Verbindung von „naiv“ und „Geburt“ erhält die Weihnachtsbotschaft nochmals eine wunderschöne, bereichernde Facette.

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Ein Hoch der Unplanbarkeit
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