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Innovationsillusion und andere Fallen – oder: Wie Sie zu besseren Entscheidungen kommen

Dass wir Menschen dazu tendieren, die Wirklichkeit lieber so zu sehen, wie wir sie sehen wollen, und nicht so, wie sie wirklich ist, hilft uns einerseits schwierige Situationen besser oder überhaupt erst bewältigen zu können und nicht die „Flinte ins Korn“ zu werfen. Doch andererseits führt dieser „verzerrte“ Blick auf die Wirklichkeit mitunter zu dramatischen Fehleinschätzungen, Fehlurteilen und Fehlinvestitionen. Forschungen dazu zeigen, dass diese Verzerrungen gerade dann am stärksten sind, wenn es sich um Entscheidungen handelt, die seltene oder neue Aspekte betreffen (also bei Innovationen, Projekten, Bewerbungen) und sich auf längerfristige Wirkungen beziehen (also bei Strategien, Investitionen, Fusion) - also genau um jene Fälle, für die Führungskräfte verantwortlich sind. [1]

Daher ist es gerade für Führungskräfte wichtig diese Verzerrungen in der Wahrnehmung, i.e. den Fallen unseres „Denkapparats“, ein Schnippchen zu schlagen.[2] Zwei ganz leicht umsetzbare Lösungsansätze dazu möchte ich in diesem Artikel kurz vorstellen:

Lösung 1) Einzelmeinungen getrennt und anonym erheben statt im Plenum: In der Entscheidungsfindung wird gerne auf Priorisierungen mittels Bepunktung oder auf eine Meinungsabfrage reihum zurückgegriffen. Beide Methoden haben einen großen Nachteil: sie werden sehr stark von der Meinung Einzelner – meist unbewusst – gelenkt; anderslautende Einschätzungen werden dann rasch als unzutreffend, illoyal oder interessensgetrieben abgelehnt. Dem gegenüber bietet die anonyme Erhebung von Einzelmeinungen den Vorteil, dass ich meine Antwort in Ruhe und unbeeinflusst geben kann. Ruhe bedeutet, dass ich nicht reflexartig antworten muss; ich kann vielmehr Argumente und Folgen inkl. Nebenfolgen bedenken und ggf. meine Überlegungen in einem kurzen Telefonat mit einer Kollegin bzw. einem Kollegen aus einer anderen Organisation absichern. Vor allem kann ich mich ganz auf meine Expertise und Erfahrung konzentrieren und eine durchgängige Begründung erstellen. Werden diese Einzelmeinungen dann von einer, in Bezug auf die anliegende Entscheidung, neutralen Person zusammengespielt, entsteht ein viel umfassenderes Bild der Beurteilung. Und mit diesem Mehr an Information steht uns eine deutlich bessere Basis für die letztlich zu treffende Entscheidung zur Verfügung.

Lösung 2) Der vergleichende Blick nach außen statt Austausch der Innensichten: Für Entscheidungen werden naturgedrungen gerade jene internen Expert*innen um ihr Wissen und ihre Erfahrung gebeten, die letztlich Teil der Fragestellung sind. (z.B. wieso wir gerade dieses Projekt in dieser Weise in Angriff nehmen sollten). 

Dabei wissen wir aus der Forschung, dass wir zu Planungsfehlschlüssen neigen. Erstens neigen wir in Selbstüberschätzung den eigenen Ressourcenbedarf ganz allgemein zu optimistisch einzuschätzen. Zweitens führen die Probleme anderer Vorhaben auf die vermeintlich schlechtere „Qualität“ der dort Verantwortlichen zurück und nicht auf die „Natur“ des gegenständlichen Vorhabens.[3] Gegen diese ganz menschliche Verzerrung hilft der Blick nach außen. Dazu suchen Sie am besten vergleichbare allerdings bereits umgesetzte Vorhaben außerhalb Ihrer Organisation. Z.B. ähnlich gelagerte Projekte bei einem Konkurrenten, Lieferanten oder bei einem bekannten Unternehmen, bei denen das Ergebnis schon klar ist. Wie lange haben diese gedauert? Wie hoch war der Ressourcenaufwand? Sind sie überhaupt in der geplanten Form umsetzbar gewesen oder mussten sie abgebrochen werden? Welche Erwartungen und Prognosen standen diesen am Anfang gegenüber? - Wenn Sie nun diese Erkenntnisse im Team einbringen, wird der Reflex, ja besser vorbereitet zu sein, noch immer stark sein. Und doch werden diese „Effektivdaten“ die eigene Verzerrung „etwas“ ins Wanken bringen und die Chancen erhöhen eine realistischer Basis für unsere Entscheidung zu erhalten.

Diese beiden Lösungsansätze des Artikels sind als eine erste Anregung gedacht. Als Anregung dafür, in der Erstellung von Konzepten, in der Entwicklung von Strategien, im Ablauf von Entscheidungsklausuren oder in jeder anderen wichtigen Entscheidungsvorbereitung darauf zu achten, dass wir diesen – quasi naturgesetzlichen - Verzerrungen durch unsere „Wahrnehmung“ nicht auf den Leim gehen. Natürlich gibt es noch viele Fallen und auch viele Möglichkeiten diese rechtzeitig zu entschärfen. Doch das Wichtigste ist, überhaupt die Tatsache in Betracht zu ziehen, dass es diese Fallen geben könnte - wo wir im Unterschied zu den anderen doch immer nur faktenbasiert entscheiden!

Diese für unsere Entscheidungen so wirksamen Verzerrungen als Führungskraft und als Führungsteam bewusster zu machen, ist wohl eine lebenslange Aufgabe. Wenn Ihnen daher eine bessere Absicherung und eine höhere Ergebnisqualität in einer speziellen Entscheidungsfrage besonders wichtig ist, würde es mich sehr freuen, wenn ich meinem Außenblick und meine Expertise in diesem Sinne einbringen dürfte, getreu meinem Motto:

Menschen verbinden ∞ Zukunft gestalten

Ihr
Dr. Kurt Schauer

[1] Wer sich in diesem Thema vertiefen will, dem sei Daniel Kahnemann und sein Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ ans Herz gelegt. Er hat sich in seinen Forschungen mit dem Kerngeschäft von Führungskräften befasst, nämlich mit Entscheidungsmechanismen. Als Psychologe hat er dafür 2002 den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Dieses Buch hat für mir selbst in vielen Punkten Erstaunen und in einigen Punkten die fachliche Begründung für mein „Gefühl“ als Prozessbegleiter geliefert, warum ich gewisse Moderationsmethoden nicht für klug halte.

[2] Wie dramatisch die Fehleinschätzungen sind, wird beispielsweise aus den Fehleinschätzungen von Finanzvorständen von Großunternehmen untermauert. Dazu wurden 11600 Vorhersagen zur Rendite eines Aktienindex für das folgende Jahr mit den tatschlich Entwicklungen verglichen. Das ernüchternde Ergebnis ist, dass die Korrelation sogar unter null liegt, d.h. bei einer Vorhersage sinkender Kurse, stiegen diese tendenziell eher an! (S. 323) Kahnemann schreibt lapidar: Die eigentlich schlechte Nachricht ist, dass die Finanzvorstände anscheinend nicht wussten, dass ihre Vorhersagen wertlos sind.

[3] Im Handelsblatt vom 19. Juli 2023 findet sich ein Artikel mit der Subunterschrift: Deutsche Unternehmen kaufen gerade reichlich zu. Doch zwei Drittel aller Fusionen und Übernahmen scheitern – vor allem am Faktor Mensch.

Und trotzdem glauben alle, dass es bei der eigenen Fusion viel schneller geht und zu einem großen Erfolg wird, weil wir ja viel besser seien. Auch zu dieser Art der Wirklichkeitsverzerrung finden sich im oben zitierten Buch viele vertiefende und erhellende Forschungsergebnisse.

 

Foto:
Wir alle kennen optische Täuschungen wie hier die Müller-Lyer-Illusion: selbst wenn wir wissen, dass beide Pfeile gleich lang sind, sehen können wir dies nicht. Die Psychologie lehrt uns allerdings, dass es solche Täuschungen selbst in der Frage der Wahrnehmung gibt: Unsere naturbedingte verzerrte Wahrnehmung führt dann zu falschen Entscheidungen, die wir später, in Ruhe bedacht, selber gar nicht glauben können!

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